Familien unterstützen | Familien mit Migrationshintergrund

Die deutsche Mehrheitskultur hat die Tendenz, Migrantinnen und Migranten ungeachtet ihrer realen Vielfalt auf Aspekte ihrer (vermuteten) „Besonderheit“, Andersheit oder Fremdheit zu reduzieren. Spricht man nur über „Integrationsdefizite“ oder vermeintliche besondere Risiken, wirft man vielfältige Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen migriert sind, in einen Topf. Fremd-gemacht und stereotyp eingeordnet zu werden – das ist für migrierte Menschen eine alltägliche Belastung.

„Unser Lebensgefühl ist die Entfremdung. Sie wird begleitet von der Angst, die anderen in der Harmonie ihrer Gleichheit zu stören. Von der Angst, von den anderen als Fremdkörper wahrgenommen zu werden. Selten reden wir über dieses Gefühl. Wer könnte uns schon verstehen? Wir wollen normal sein, und wenn das nicht geht, wollen wir wenigstens so tun, als ob.“ (Topçu, Bota, Pham 2012: 50f.)

In dieser Belastungssituation sind familiäre Netzwerke für eingewanderte Menschen eine wichtige Quelle von Stabilität, Sicherheit und Zugehörigkeit. Die Schattenseiten sind Anpassungsdruck und Angst, diesen wichtigen Schutz verlieren zu können. Das gilt besonders für migrierte Schwule und Lesben bzw. für Kinder aus Migrationsfamilien, die riskieren, von zwei Seiten aus als „besonders, anders“ gesehen zu werden. Outen sie sich, ist die Gefahr ihres sozialen Verlusts größer als in Mehrheitsfamilien. Dazu tritt die Angst, die Familie ‚im Stich zu lassen‘, weil sie die Fremdheitserfahrung der Familie teilen und ihr nicht noch mehr Ausgrenzung zumuten wollen.

Migrationsfamilien sind jedoch so vielfältig wie Mehrheitsfamilien und keine Sonderform, aus der sich „Sonderprobleme“ ableiten lassen. Pauschalurteile wie: „Homosexuelle Migranten haben es wirklich schwer“ oder „Hier können sie wenigstens frei leben“ überbewerten die kulturelle Ebene ebenso wie die abwehrende Aussage: „Bei uns gibt es das (Homosexualität) nicht, das ist eine Erfindung des Westens“. Beides ist weder für die Familien noch für homosexuelle Menschen unterstützend.

Die Beratungs- und Bildungsarbeit muss die volle Bandbreite unterschiedlicher Erfahrungen und Probleme berücksichtigen. Die Angst, „dieses heikle Thema“ in Migrationskontexten anzusprechen, ist kein guter Ratgeber; sie verfestigt Stereotype über Migrantinnen und Migranten und über Menschen, die schwul oder lesbisch sind, und verhindert die professionelle Unterstützung in Familien. Fachleute sind herausgefordert, differenzsensibel zu sein und gleichzeitig Differenzen nicht übermäßig zu betonen, Verunsicherungen und Unsicherheiten ernst zu nehmen und kompetent mit (auch eigenen) Ambivalenzen umzugehen. *


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Beitrag von Ilka Borchardt » Download PDF

* Literaturtipp:

Studie im Auftrag des LSVD Familien- und Sozialvereins zur Lebenssituation von Lesben und Schwulen mit Migrationshintergrund siehe: » „Doppelt diskriminiert oder gut integriert?“