Wer ist Familie?

Was sehen Sie, wenn Sie an "Familie" denken?

"Vater, Mutter, Kind(er)" - das assoziieren die meisten Menschen als Familienbild, wenn man sie danach fragt. Diese Vorstellung basiert auf der Idee der bürgerlichen Familie, die im 18. Jahrhundert entstand. Aber diese Konstellation war nie die einzige Form von Familie, auch wenn sie als Norm immer noch wirkungsmächtig ist. Großmutter-Mutter-Kind, Alleinerziehende, Mutter-Geschwister-Kind: in der Realität gab und gibt es vielfältige Formen, wie Kinder in einer Familie aufwachsen.

"Ein Kind braucht Vater und Mutter" — oder Liebe und Geborgenheit?

Ähnlich normativ ist die Vorstellung: "Ein Kind braucht Vater und Mutter." Sie beruht auf zwei Annahmen: erstens, dass Väter und Mütter aufgrund ihres biologischen Geschlechts als Männer und Frauen verschiedene Einflüsse auf ein Kind ausüben und zweitens, dass ein Kind beide Arten von Einflüssen für die Persönlichkeitsentwicklung brauche.

Dahinter stecken stereotype Vorstellungen von "männlich" und "weiblich" aus dem 18. Jahrhundert, als sich diese beiden "Geschlechtscharaktere" als antagonistische Pole herausbildeten. "Dem Gedanken der Zweigeschlechtlichkeit liegt eine heterosexuelle Matrix zugrunde und der Gedanke der Hetero- wie Homosexualität basiert auf der Annahme der Zweigeschlechtlichkeit." (Hartmann 2011) Diese Annahme geht davon aus, dass Heterosexualität natürlich, normal und allen anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens überlegen ist (Heteronormativität).

Homosexualität und Familie schließen sich nicht aus

Auch wenn homosexuelle Elternschaft vielleicht nicht dem tradierten Familienbild entspricht: Homosexualität und Familie schließen sich keineswegs aus. Manche Menschen verunsichert das und sie behaupten daher: "Homosexuelle wollen aus egoistischen Gründen Kinder, nicht um des Kindeswohls willen", oder: "Der natürliche und richtige Weg, Kinder zu bekommen, ist in einer Partnerschaft von Mann und Frau". Damit werten sie nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe ab, häufig ohne Kenntnis darüber, wie es in einer gleichgeschlechtlichen Familie zugeht.

Studien dagegen belegen, dass die An- oder Abwesenheit des biologischen Vaters oder der biologischen Mutter "nichts über die zu erwartende Richtung des Sozialisationsprozesses der Kinder aus(sagt)" (Peuckert 2007: 43). Wichtiger für das Wohl der Kinder ist die Art und Weise, in der die Familienmitglieder zusammenleben, ob und wie sie sich lieben, füreinander sorgen und einander Geborgenheit vermitteln.

In der Sozialen Arbeit haben enge normative Vorstellungen über Familie, über Hetero- und Homosexualität, über Migration, Geschlecht usw. zur Folge, dass Klientinnen und Klienten nicht die Unterstützung finden, die sie suchen und brauchen. Oft ist es eher die Befürchtung, etwas Falsches, Verletzendes zu sagen und das Klientel zu verschrecken; die Unsicherheit, sich nicht genügend auszukennen; auch der Anspruch, alle familiären Anliegen gleich zu behandeln, obwohl es für manche eine differenziertere Ansprache braucht. Diese Gründe gilt es ebenso zu reflektieren wie die Bilder im Kopf, die ihnen zugrunde liegen.

Andernfalls bleiben die Kompetenzen von Fachpersonal und Einrichtungen für manche Menschen und Situationen unerreichbar und Fragen von Klienten unausgesprochen und unbeantwortet.

Mehr zum Thema: Beitrag von Ilka Borchardt / Heiko Reinhold
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